Ohne Musik geht’s nicht, mit Spotify erst recht nicht

 
Mit dem guten alten Radio zurück in den Flow / Illustration: Elisabeth Deim

Mit dem guten alten Radio zurück in den Flow / Illustration: Elisabeth Deim

Vor einigen Wochen habe ich meinen Walkman wieder einmal wieder entdeckt. Mir passiert das regelmäßig. Dann stelle ich fest, dass der notdürftig mit einem Gummiband geflickte Riemen, sich mal wieder in seine Bestandteile aufgelöst hat und ersetze ihn erneut, um irgendeine alte Kassette abspielen zu können. Da das Gummiband etwas zu groß ist, ist die Abspielgeschwindigkeit jedoch gewöhnungsbedürftig. Alf stürzt mit seinem Raumschiff in Zeitlupe bei den Tanners in den Garten. Ein Effekt, der dieser Szene durchaus gut tut und sie noch gruseliger macht als sie ohnehin schon ist. Den Rest der Folge erträgt man so aber kaum. Enttäuscht von dieser fehlgeschlagenen Zeitreise, schalte ich den Walkman aus und widme mich wieder den digitalen Lösungen.

Nach einer Stunde habe ich schließlich auf Spotify genau das gefunden, worauf ich Lust habe. Dafür musste ich lediglich in alle Neuerscheinungen reinhören, nach jedem Dritten Klick 30 Sekunden Werbung ertragen, einen überforderten Browser mehrmals neustarten und sehr oft sehr tief einatmen und lang ausatmen, um die Ruhe zu bewahren. Aber jetzt läuft’s - zumindest bis zur nächsten Werbung.

Aus. Der Rest des Tages verläuft still.

Am Abend entschloss ich mich dann, frustriert von der modernen Tecknik, dazu, nicht wie sonst mit Alexa Radio zu hören, sondern mit meiner etwa 20 Jahre alten Stereoanlage, welche meine Schwester zu ihrer Jugendweihe bekam und mir irgendwann vermachte. Nach einem erwartungslosen Drücken auf "Tuner" sprang ich unmotiviert durch die Frequenzen als mir plötzlich eine bekannte Stimme aus dem Lautsprecher entgegenkam.

Conor Oberst. Ein Musiker, der mich mit seiner Band Bright Eyes Mitte der 2000er verzauberte und den ich zuvor wirklich noch nie im Radio gehört hatte. Und da war er plötzlich. Zwei Stunden lang in einer Konzertaufzeichnung auf MDR Kultur. Ein Sender, den ich ebenfalls noch nie zuvor für meinen Musikgeschmack in Betracht gezogen habe. Schon lang nicht mehr habe ich mich so gut unterhalten gefühlt. Und das ganz ohne Werbung!

Kein Gummiband, kein Internet, keine unzählbare Auswahl an Alben und Interpreten, keine endlose Diskussion mit Alexa über Bandnamen und Albentitel war nötig, um mich musikalisch so gut zu versorgen. Nur drei bis vier Tastendrücker an einer alten Anlage.

Das Kabel der Boxen auf meinem Schreibtisch steckt seit dem in meinem Walkman. Jeden Morgen muss ich nur noch den Schalter von "Tape" auf "Tuner" umlegen, um den ganzen Tag ununterbrochen und vor allem werbefrei und hochwertig mit guter Musik, Nachrichten, Gedichten, Lesungen und Kulturtipps versorgt zu werden.

Mit Recht kann man nun behaupten, dass man dieses Angebot auch auf der Internetseite des Radiosenders erhält - oder in der App. Doch auf dem Weg dahin, begegne ich so vielen Verführungen, dass ich am Ende überall war und bin, nur nicht auf www.[meinliebsterradiosender].de oder in der App. Eine Welt voller Ablenkungen hätte mal wieder meine Pläne durchkreuzt und Whatsapp, Instagram, Facebook oder einfach meine Vergesslichkeit zum Gewinner gemacht.

Mit meinem Walkman bin ich also nicht einfach nur kulturell und informativ fantastisch versorgt. Viel wichtiger ist noch, dass ich seit dessen Nutzung meinen Browser fast den ganzen Tag geschlossen halten kann und dem Internet als Unterhaltungsmedium kaum noch begegne. Das Radio kümmert sich nun darum.

Mein Walkman ist damit zu einem meiner wichtigsten Tools geworden, um konzertiert an meinen Illustrationen zu arbeiten und im Flow zu bleiben. Er ist meine kleine Mauer aus Plastik gegen die fiesen Verführungen des World Wide Web.


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