Happy Hypno oder Wie mich meine Augenoptikerin verführte
Als ich letzten Sommer dringend stärkere Brillengläser benötigte (mein Monitor ist mir auffällig nah gekommen), habe ich ein Optikergeschäft gewählt, welches mir schon seit Jahren durch seine gelungene Inszenierung aufgefallen ist.
Im Fenster hängen große rosa Fische aus Pappe. Und der Kundenstopper fragt mit der Nahaufnahme einer Klaviertastatur schon aus der Ferne: “Geige oder Klavier?”. Ein Kundenstopper, der seinen Namen wirklich verdient. Ich stoppte kurz und entschied mich schließlich reinzugehen.
Im Inneren des Geschäfts setzt sich die Inszenierung fort. Der erste Blick fällt auf den massiven Sandsteintisch. Der zweite auf das großer schwarze Sofa. Daneben ein kleiner Tisch mit einer spannenden Auswahl an Magazinen. Psychologie Heute, das aktuelle Theater- und Operettenprogramm, aber kein einziges Boulevardblatt, vor allem kein Brillen- oder sonstiges Gesundheitsmagazin. Die Unterhaltung auf hohem Niveau ist in dieser Inszenierung überall wieder zu finden.
Kaum hat man das alles erfasst, kommt die Ladenbesitzerin aus ihrer Werkstatt gehuscht und nimmt einen in Empfang. Was jetzt kommt, ist keine Inszenierung, sondern echt.
Mit höchstem Anspruch an die eigene Arbeit und dem größten Interesse, die besten Werte zu bestimmen, werden die wichtigsten Parameter aus meinen Augen gefiltert. Schon das kleinste Zögern in meinen Äußerungen verrät ihr, dass eine feinste Korrektur noch vorgenommen werden muss. Service im Superlativ.
Ganz still habe ich all diese Eindrücke mit Begeisterung wahrgenommen. Erst als wir uns zum Abschluss beim Datensammeln an Ihrem Schreibtisch zusammenfanden, erzählte ich, was mein Beruf ist und ließ die Begeisterung hinaus sprudeln. Dann lernte ich dazu.
Diese Inszenierung hat Methode und nennt sich Hypnoästhetik. Gelesen hat sie darüber im gleichnamigen Buch des österreichischen Autors und Referenten Christian Mikunda, was den passenden Untertitel “Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektur” trägt.
Am nächsten Tag durfte ich mir diesen Buchtipp physisch in Ihrem Geschäft abholen und begann noch am selben Abend darin zu lesen.
Mikunda nimmt die Leser seines Buches mit auf einen Roadtrip durch die Welt und zeigt einem dabei die Methoden der Hypnoästhetik in Form von Stores, Architektur, Personen und Filmen (wo er all diese Methoden kennengelernt hat). Viele dieser Methoden basieren auf psychologischen und psychotherapeutischen Techniken (kein Wunder also, dass sein Begleiter auf dieser Reise ein Psychotherapeut ist) und wirken manchmal wie Zaubertricks.
Die Hypnoästhetik tut das, was Marketing eigentlich immer tut, nur auf eine fast schon wissenschaftlich anmutende Art; sie spricht unser Unterbewusstsein an und beeinflusst uns durch Suggestion (Google: geistig-seelische Beeinflussung eines Menschen [mit dem Ziel, ihn zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen]). Elemente werden so gewählt und platziert, dass Sie uns verwirren, aufwühlen, ablenken, faszinieren, schockieren - am Ende jedoch immer auch verführen.
Um diese Wirkung zu erzielen, gibt es Mikunda zufolge vier Mechanismen.
Das Klavier auf dem Kundenstopper, der Sandsteintisch, das schwarze Ledersofa, die Fische im Fenster, die Magazinauswahl; das ist Art Priming, einer dieser vier Mechanismen und die Vorinszenierung eines Erlebnisses.
Keines dieser Objekte hat etwas mit Brillen oder meiner schlechten Sehkraft zu tun und doch wurde mit jedem dieser Objekte in meinem Unterbewusstsein eine Verknüpfung hergestellt, die mich schließlich überzeugt hat.
Ich wurde hypnotisiert. Und ich habe es genossen!
Versuchen Sie es! Gehen Sie raus in die echte Welt und erkunden Sie den lokalen Einzelhandel. Er ist voller spannender Konzepte, die sich lohnen erlebt zu werden. Versuchen Sie dabei, nicht nur durch ihre Augen hindurch zu schauen, sondern sie wirklich zum Sehen zu nutzen. Sie werden überrascht davon sein, wie oft sie der Hypnoästhetik begegnen - und verfallen.
Darüber lesen und lernen:
“Hypnoästhetik: Die ultimative Verführung in Marketing, Handel und Architektur” von Christian Mikunda, erschienen im Econ Verlag, 2018