Wütende Illustrationen
 

Illustration Wütende Illustrationen: Elisabeth Deim

Ich bin bei der Arbeit immer ein wenig wütend, irgendwie gereizt. Ich kann entspannt und gelassen einfach nicht arbeiten. Irgendwas muss mich aufregen, damit ich auch nur in Gedanken mit der Arbeit an meinen Illustrationen beginnen kann. Da geht es mir wie Ernst Barlach:

Ich bin mit Wut über meiner Arbeit, ich haue ins Holz, wie der Sonderburger Exerziermeister verlangte, dass wir "ins Eisen greifen" sollten.”

Und es gibt so einige wie Herrn Barlach und mich. In Austin Kleons “Angry and Curious” Zine zitiert er jede Menge dieser wutgeladen arbeitenden Künstler. Zum Beispiel gleich an erster Stelle John Baldessari:

"I live here because L.A. is ugly... If I lived in a great beautiful city, why would I do art?" he said. "I always have to be slightly angry to do art and L.A. provides that."

Me, too, me, too, nicke ich dem Bildschirm zu. Es ist vermutlich gut für mein kreatives Schaffen, dass ich in Dresden wohne, denke ich.

Wutgeladen. Das heißt, Wut ist eine Form der Energie. “D'you know that you can use it?” fragen The Clash in ihrem Song “Clampdown”:

Mein wütender Punkt ist Kritik. Die nehme ich immer einen Moment lang zu persönlich, bevor sie sich in Energie wandelt.

Meredith Haaf beschreibt diesen Moment in ihrem Essay “Streit!” für mich ziemlich treffend:

“Wenn die Kritik nicht so freundlich oder fair vorgetragen wird, wird mein Brustkorb eng und ich verspüre die Notwendigkeit, meine Gesichtszüge zu kontrollieren. (…) Und es kann sein, dass ich mich während der Arbeit selbst um den Block schicken muss, um meine vermeintliche gerechte Empörung über diese Zumutung wieder loszuwerden.”

Wut ist für mich also eine wunderbare Gefühlsregung auf dem Weg zu einem “Na warte, dir zeige ich es!”-Entwurf.

Die meisten Kunden sind aber zu nett, um eine unfreundlich formulierte Kritik vorzutragen. Da ist es von Vorteil, dass ich mich ganz fürchterlich über alles aufregen kann. So reicht mir meistens schon das Thema der anzufertigenden Illustration aus, um in Rage zu kommen:

Inkasso.
Impfgegner.
Mobilitätswende.
Nervige Nachbarn.
Heimat.

Code Red. Aux Armes.

Wer jetzt aber denkt, dass Wut nur Gift spuckt, täuscht sich. Meine Illustrationen sind bunt, die Figuren darin meist ausgesprochen vergnügt. Der Trick mit der Wut ist nämlich der, sie mit Humor zu transportieren. “Humor öffnet Menschen”, sagte Thomas Vinterberg in einem Interview zum Film “Der Rausch”. Als Meister des ehrlich tragischen Witzes, weiß er wovon er spricht. Die Wut auf etwas kann also urkomisch sein, wie es auch Joan Rivers bewiesen hat:

“The minute you’re not angry about things – the minute you’re not upset about things – what are you talking about? I’m furious about everything. (…) if I didn’t have the anger about it, I wouldn’t be a comedian. Anger fuels the comedy.”

Die Materie eines richtig guten Werks - sei es eine Illustration, ein Song, ein Essay oder nur Kunst - ist scheinbar Wut. Sie entsteht ganz einfach aus uns heraus, indem wir uns mit einem Thema auseinandersetzen, uns darauf einlassen und darüber streiten - mal mit uns selbst, mal mit anderen, mal mit dem Nachrichtensprecher. Es ist diese Wut darauf, dass es ist wie es ist, obwohl es anders doch besser wäre.

Was jedoch unter keinen Umständen mit dieser Wut passieren darf, ist, dass aus ihr Zorn wird, “verhärtete Wut” nennt das Meredith Haaf und fügt noch hinzu:

“Damit aus ihr kein Groll oder rachsüchtiger Zorn wird, muss Wut etwas tun, das ihr schwerfällt: denken. Einatmen, ausatmen, überlegen, worum es geht und was die Situation besser machen könnte.”

Britannica fragte Henry Rollins, was das Geheimnis seiner Produktivität ist, darauf antwortete er:

“I am angry and curious. These two things propel me forward.”

Das heißt, in der Wut muss eine Neugier darauf wachsen, etwas verändern zu können. Jede Illustration, die ich anfertige, ist also mein Beitrag zu einem Streit, der Versuch einer Revolution, eine Art Protestplakat.

Wut ist also nur deshalb, die gesellschaftlich verpönteste Emotion, weil sie zu oft zerstörend anstatt schaffend genutzt wird. Mir gefallen die Worte, die der Zen-Meister Thich Nhat Hanh nutzt, um diese schaffende Fähigkeit zu beschreiben, als er die schwarze Frauenrechtlerin bell hooks in ihrer eigenen Wut beruhigen möchte:

“Well, you know, hold on to your anger, and use it as compost for your garden.

Sie selbst denkt darüber:

“And I think that if we think of anger as compost, we think of it as energy that can be recycled in the direction of our good. It is an empowering force. If we don’t think about it that way, it becomes a debilitating and destructive force.”

“ANGER IS AN ENERGY.” - Johnny Rotten


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