Die zwei Filme, die ich in diesem Monat geschaut habe, haben mich mit ihrem Soundtrack erstaunt, jedoch auf ganz unterschiedliche Weise. Der eine ganz präsent und fast schon Hauptdarsteller, der andere so subtil, dass ich im Abspann große Augen machte als ich las, dass er von Warren Ellis ist. Und kurz fragte ich mich sogar: Welcher Soundtrack? War da was?
Bedauerlicherweise begegnet man meinen Illustrationen und Infografiken ohne Soundtrack. Es wäre allerdings mindestens ein Experiment wert, herauszufinden, wie sie sich verändern würden, wenn ein Takt das Auge führt. Wie würde es sich anfühlen, wenn Magazine wie eine dieser Soundmodul-Geburtstagskarten auf jeder Seite eine passende Melodie spielten?
FILME
Die Blechtrommel von Volker Schlöndorff
(noch bis 13.6.2022 in der arte Mediathek zu sehen)
Der Film beginnt damit, in dicken weißen Lettern die Namen der wichtigsten Mitwirkenden auf ein braunes Leinentuch zu projizieren. Diese unumgängliche, erzählerische Langeweile zu Ehren derer, die ihn geschaffen haben, schätze ich wirklich sehr an alten Filmen. Im Hintergrund läuft sich komponiert von Maurice Jarre “Oskars Trommel” warm.
Nebenbei erwähnt, die Illustration auf der französischen Ausgabe des Soundtracks ist vortrefflich. Auf den übrigen Medien findet man nur Collagen aus Oskar, Glas und Geschrei. Diese Bilder würden auch als warnender Hinweis auf eine kinderreiche Nachbarschaft dienen. Sie werden vom Kontext bestimmt. Diese Illustration hingegen ist spezifisch und nicht austauschbar, indem sie den Kontext direkt mit ins Bild aufnimmt.
Dass Soundtrack und Film eine perfekte Symbiose miteinander eingehen, merke ich daran, dass beim Nachhören des Soundtracks, sich ein Bilderbuch in meinem Kopf öffnet. Darin versammelt sind die Bilder, die Herr Schlöndorff aus Günther Grass’ Buchvorlage in Filmszenen übersetzte. Ich habe das Buch nicht gelesen, ein Kritiker schreibt jedoch, dass im Film zahlreiche Szenen fehlen, die die am bildstärksten inszeniert werden können, von Herrn Schlöndorff aber aufgenommen wurden.
Mir fehlte es zwar an nichts, aber jetzt wo ich weiß, dass im Director’s Cut noch zusätzliche Szenen zu finden sind, will ich diese gern auch noch in mein Bilderbuch aufnehmen und frage mich, ob sie von weiteren Stücken Jarres begleitet werden.
Eine Szene ist ganz besonders exemplarisch für das Zusammenspiel von Bild, Musik und Geschichte. Sie erzählt so viel über Oskar, die Musik, den Faschismus und die Menschen, die ihn möglich machen - aber auch unmöglich machen könnten. Es ist ein riesen Spaß, ihr auf dem Soundtrack noch einmal zu begegnen.
Unumgänglich ist es auch, in Oskar selbst eine Parodie auf Adolf Hitler zu sehen. Beide (ebenso wie Stalin und Mao Zedong) sind gescheiterte Künstler, die sich aber gut darauf verstehen, sich durch Tyrannei, die Erwachsenen Untertan zu machen.
"So entdeckte ich, was meine Stimme mir ermöglichte. (…) Denn wenn mir meine Trommel weg genommen wurde, schrie ich. Und wenn ich schrie, zersprang Kostbarstes!"
Oskar als er die Macht seiner Stimme entdeckte
Mein rein visueller Favorit ist übrigens diese Szene hier:
Oskar im Mutterleib, kurz vor seiner Geburt, bei welcher man ihn anschließend aus seiner Perspetive begleitet. Schon da beobachtet und kommentiert er die Welt der Erwachsenen aufmerksam und klug, bevor er drei Jahre später beschließt, dort nicht mitmischen zu wollen und sein Wachstum für beendet erklärt.
Es macht mich glücklich zu hören, dass David Bennet, der Oskar, in diesem Interview erklärt, wie gut er seine Rolle versteht und die großen Leute sieht. Außerdem haben wir scheinbar die gleiche Vorliebe für Listen.
Vielleicht bleibe ich ja auch klein.
David Bennent
Oskars Vater ist im übrigen Kolonialwarenhändler und die Szenengestalter haben eine schier unübersehbare Menge an zeitgetreuen Produktverpackungen und Werbeplakaten in den Bildern untergebracht. Damals war alles, was heute nur noch ein ödes Foto ist, eine bezaubernde Illustration.
Mustang von Deniz Gamze Ergüven
(noch bis 14.6.2022 in der arte Mediathek zu sehen)
Mit “Mustang” wurde Virgin Suicides in eine ländliche Region der Türkei verlegt. Das bringt mit sich, dass die Geschichte sich plötzlich viel realer anfühlt: Fünf Schwestern wachsen bei Onkel und Großmutter auf und fallen deren Moralvorstellungen in einer Reihe von Sanktionen zum Opfer. Mit welcher Intensität die Mädchen dagegen rebellieren, erinnert tatsächlichen an einen Mustang im Lasso.
Die Großmutter spielt für mich die spannendste Rolle. Sie bringt die überholten Moralvorstellungen mit, aber auch die Rolle der Frau in einem patriarchischen System. Das macht sie zum Komplizen ihres Sohnes, z.B. wenn sie den Mädchen alles nimmt, was ihr unanständig erscheint, aber genauso zum Komplizen der Mädchen, wenn sie mit allen Mitteln versucht, den Fernsehempfang des gesamten Dorfes lahmzulegen, damit keiner sieht, dass die Mädchen im Fußballstadion sind.
Die Bilder klingen völlig anders als die in Herrn Schlöndorffs “Blechtrommel” und sind ganz gewöhnlich. Warren Ellis Soundtrack ist so subtil, dass ich davon erst im Abspann erfuhr. Vielleicht fiel er mir nicht auf, weil die Geige so klagend klingt wie manches türkisches Folklorelied und damit wortwörtlich so gut ins Bild passt.
In Virgin Suicides ist übrigens nichts gewöhnlich und der Soundtrack deshalb eine grandiose Sammlung aus 70er-Jahre-Songs und himmlischen Tracks von Air. Das hätte noch nicht einmal nach Istanbul gepasst.
MAGAZINE
Grafikmagazin 01.22 / Titelthema ILLUSTRATION
Science must be taught as an adventure.
Aufgeschnappt in Aufzeichnungen von Austin Kleon
Und Gestaltung ist Wissenschaft! Mit einem Magazin, dass jeder Ausgabe ein anderes Papier widmet und auch zwischen den Themen dieses gezielt noch einmal wechselt, ist beides bewiesen: die Existenz der Gestaltungswissenschaft und das notwendige Abenteuer, um sie erlebbar zu machen. Ich bin unglaublich dankbar für dieses Magazin.
Ich habe Caroline Frett entdeckt und es macht mich sehr glücklich, darüber zu lesen, dass auch einer anderen Kollegin der Kapitalismus zu wider ist und sie sich für das endlose Mehr in der Karriere nicht interessiert. In der Buchvorstellung “CAPS LOCK” werde ich dem Thema irgendwann genauer nachspüren, um herauszufinden, ob Grafik Design und Illustration überhaupt ethisch sein kann, wenn z.B. das verführerische Äußere eines Produktes am Ende nur dem Wirtschaftswachstum des Kunden dienen soll.
Weitere spannende Sehenswüdigkeiten während meines Abenteuers waren:
das IDDIS, Norwegens Museum für Grafikdesign und Konserven in Stavanger, mit seinen ganz wundervoll gestalteten Fischdosen;
Anni von Bergens Kochbuch “A Sauerkraut’s Kitchen”
Studio Leichtfrieds Corporate Identity Design für das Votiv Kino De France in Wien (lllustration: Daniel Triendl), und ganz besonders das Typo-Plakat zu Hitchcock sowie
die solarbetriebene und energieschonende Website von Lowtech Magazine.
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